Dienstag, 4. März 2014

Rezension zu "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen


Kaleidoskop der inneren und äußeren Welt

 

Zum Inhalt:
Der Roman Tauben im Gras wurde 1951 von Wolfgang Koeppen verfasst und war der erste – und bekannteste – Band der Trilogie des Scheiterns, zu der noch Das Treibhaus und Tod in Rom gehören. Sie beschäftigen sich mit der Nachkriegszeit in Deutschland. Er analysiert die rückständischen Ideologien und Verhaltensweisen, die zu Faschismus und Krieg geführt haben und fungiert als eine Art kritische Bestandsaufnahme der Nachkriegsjahre.

Eine lineare Handlung gibt es nicht. Stattdessen präsentiert Koeppen in seinem Werk die Schicksale von etwa 30 Personen, die in einer Großstadt leben und über verschiedenste soziale Grenzen miteinander verknüpft sind. Sie begegnen sich im Laufe des Tages hier dort und beschreiben die Dinge jeweils aus ihrer eigenen abgeschotteten Welt. Die Geschehnisse finden an einem einzigen Tag in München statt.

Meine Meinung:

Die Atmosphäre nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland wirkt immer noch bedrohlich, wie alleine schon der Prolog des Romans aufzeigt. Diese Art von Beklemmung und Bedrohung lässt den Leser das ganze Buch über nicht los und versetzt ihn zurück in die damalige Zeit, indem er ihn mit diesen ganzen Empfindungen konfrontiert. Zu Anfang wirkt das Buch unglaublich langweilig, da man sich in Koeppens Schreibstil einfinden muss. Ist der Prolog größtenteils im parataktischen Satzbau gehalten, wechselt der Erzähler schon im zweiten Abschnitt in die Hypotaxe, was es dem Leser zuerst schwer macht, den Ausführungen zu folgen. Allein hieran merkt man schon, dass der Erzähler einen ganz besonderen Effekt erzielen will: Der Leser soll sich genauestens auf die Wortwahl, die Handlung konzentrieren. Dadurch wird der Roman nicht einfach ein Buch, das man nebenbei liest, nur, um es hinterher so schnell wie möglich zu vergessen, sondern, man selbst wird Teil des Buches. Man soll sich in die Charaktere hineinversetzen, ihre Lage nachempfinden können. Obwohl es manchmal wirklich schwer ist, den Gedanken Koeppens zu folgen (er hatte ursprünglich die Idee, das Buch im Stil des Bewusstseinsstroms zu schreiben, d.h. keine Punkte einzubauen, sondern einfach den Worten freien Lauf zu lassen), wird das Buch je weiter man liest immer interessanter. Man erkennt die Verknüpfungen der einzelnen Personen untereinander und beginnt langsam, auch durch verschiedene Symbole die Charaktere zu erkennen. Dies ist bspw. bei dem schwarzen Amerikaner Washington so, der meist in einer blauen Limousine durch die Stadt fährt oder auch bei seinem Landsmann Odysseus, der immer ein Kofferradio bei sich trägt. Dadurch wird es dem Leser auch leichtgemacht, die Personen zuzuordnen.

Insgesamt lernt der Leser verschiedene Personen aus den verschiedensten Schichten kennen, die alle mit ihrer gegenwärtigen Situation zu kämpfen haben. Man begegnet Groß und Klein, Jung und Alt, Deutschen und Besatzungssoldaten, die alle auf eine bestimmte Weise mit dem Krieg verbunden oder durch diesen geprägt sind.

Phillip ist Schriftsteller, der jedoch kein einziges Wort geschrieben hat und auf das große Schaffen hofft. Er selbst tut jedoch nichts dafür, dass er dies erreichen und Emilia. seiner Frau, somit eine sichere Zukunft bieten kann. Er liebt Emilia, hat jedoch auch gleichzeitig Angst vor ihr. Phillip ist ein sehr nachdenklicher und verträumter Charakter, was gut zu seinem schriftstellerischen Beruf passt. Er besitzt analytische Fähigkeiten, was seine Sensibilität für Emilias Gefühle zeigt.

Diese Eigenschaften besitzt Christopher Callagher nicht, wenn es um seine Frau Henriette geht, deren Eltern deportiert wurden. Henriette ist ein sehr verletzlicher Charakter, die in einem Trauma festhängt und nicht mehr nach Deutschland zurückkehren möchte, wie Christopher es von ihr verlangt. Als eine Art „Therapie“ erzählt sie ihrem Sohn Ezra von den „bösen Deutschen“, was ihr vielleicht bei der Vergangenheitsbewältigung hilft, Ezra jedoch psychisch schadet. Dadurch entwickelt er Kriegsfantasien und träumt sich immer öfter in seine Märchenwelt hinein.

Doch nicht nur diese Personen wurden durch den Krieg berührt, sondern auch welche, die aufgrund ihrer Hautfarbe von den Menschen in der Großstadt diskriminiert werden.
Washington Price ist schwarzer Amerikaner und wünscht sich eine Welt ohne Rassen und Diskriminierung. Er träumt davon, ein Café in Paris zu eröffnen, in dem niemand unerwünscht ist, eine Utopie zu entwickeln inmitten einer apokalyptischen Dystopie.

Obwohl jeder mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hat, reden die Charaktere nicht darüber sondern tragen den Konflikt mit sich selbst aus. Auch hier gewährt der Erzähler einen Einblick in die Köpfe der Figuren und wechselt nicht nur zwischen der Erzählform, sondern auch zwischen der Erzählsicht um den Leser einen noch besseren Eindruck vermitteln zu können. Durch die zwischenzeitlich eingebundenen Monologe wirkt dies dann so, als würde der Charakter nur mit dem Leser über sein Problem sprechen und nur ihm seine tiefsten Gedanken offenbaren können.
Hier wird auch die Anonymität deutlich, die schon im Titel aufgegriffen wird. Auf Seite 171 wird noch einmal deutlich, was genau mit dem Titel gemeint ist:

„[…]Die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier, Hitler war ein Zufall, seine Politik war ein grausamer und dummer Zufall, vielleicht ist die Welt ein grausamer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind, die Vögel werden wieder auffliegen und wir werden weitergehen […]“

Dies kann auch auf die heutige Zeit übertragen werden. Auch wir begegnen ständig Menschen und sind auf irgendeine Art und Weise mit ihnen verstrickt, wissen aber gar nichts davon. Von daher besitzt der Roman schon eine gewisse Aktualität.

Fazit:

Ein Muss für alle, die sich gerne mit der Nachkriegsliteratur beschäftigen. Mit stilistischen Mitteln überwindet Koeppen das strenge Nacheinander des traditionellen Erzählens und schafft simultane Stränge, die sich überlagern. So wird der Leser in das gleiche Chaos hineingestellt wie die Figuren, ein faszinierender Kunstgriff. Koeppens Gefühl für jede einzelne Geschichte und ihre Fluidum, sowie für die Verknüpfung und Überschneidung der einzelnen Geschichten ist bemerkenswert. Auch wenn seine Fähigkeiten auf dem Gebiet der sprachlichen Verschleierung, ja der Sprachhandhabung allgemein, ihrem Tempo, ihrer Konzentration und Lässigkeit, manchen in eine visuelle und geistige Verzweiflung stürzen mag, so hat diese Sprache trotzdem einen wahren Überfluss an Mitteilungs- und Darstellungsmöglichkeiten, die insbesondere auf der Ebene Erfahrung und Nähe der Personenidentität zum Tragen kommen. Von mir bekommt Tauben im Gras daher 4 von 5 Sternen.

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Allgemeine Infos zum Buch
Erscheinungsdatum Erstausgabe : 01.01.1982
Aktuelle Ausgabe : 01.06.2013
Verlag : Suhrkamp
ISBN: 9783518188927
Flexibler Einband: 280 Seiten
Sprache: Deutsch

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